StartGeschichteIn den Chambres séparées des “Greif-Café”

In den Chambres séparées des “Greif-Café”

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Von Kurt Guggenbichler

Bei meinem Spaziergang durch Wels bin ich unlängst wieder an einer Örtlichkeit auf dem Kaiser-Josef-Platz vorbeigekommen, an der sich einmal der gesellschaftliche Treffpunkt von Wels befand: das Hotel Greif mit seinem Kaffeehaus mit seinen Chambres séparées und seinem Theater. Das Theater gibt es heute noch, Hotel, Café und Separees jedoch sind jedoch Geschichte. Sie hatten einem Gebäude Platz machen müssen, mit dem nicht nur ich, sondern auch viele andere ältere Welser noch fremdeln.

Dort, wo einst „hohe und allerhöchste Herrschaften verkehrten“, wie die Chronik berichtet, gehen heute vermutlich viele Spitzbuben mit Bewachung aus und ein, was auf Grund der dort angesiedelten Polizeiinspektion auch kein Wunder wäre. In dem Bereich, in dem sich heute in etwa die Wachstube befindet, befand sich einst eine Filiale der „Länderbank“ und der Hoteleingang. An ihn grenzte nach dem Krieg das nicht nur bei der Laufkundschaft beliebte Greif-Büffet an und an dieses wiederum an das größere Kaffeehaus mit der sogenannten „Greif-Bar“.

Von 1880 an verkehrte im „Greif“ fast 100 Jahre lang das Welser Bürgertum und seine besten Zeiten hatte das Haus vermutlich in den Tagen von Kaiser-Franz Josef, weil auch das Offiziers-Casino des in Wels stationierten Militärs darin untergebracht war. Erzherzog Rainer hat das Casino seinerzeit persönlich eröffnet und der spätere Welser Schuhgeschäftebetreiber Josef Haslinger hatte einst als Kind beobachtet und aufgezeichnet, was sich morgens vorm „Greif“ so abgespielt hat. Die vielen Leutnante und Fähnriche, die in jährlichen Kursen Reiterattacken in der Welser Ulanen-Kaserne an der Magazinstraße trainierten und während dieser Zeit im „Greif“ logierten, notierte Haslinger, ließen sich morgens vom Portier immer die Fiaker herbeipfeifen, um damit zum Dienst gefahren zu werden.

„Das waren glanzvolle Zeiten“ schwärmten die Welser noch lange nach dem Ende der Monarchie über diese Ära in ihrer Stadt. Über das Leben im Hotel und im Kaffeehaus zwischen den beiden Weltkriegen, in denen die Zeiten wirtschaftlich nicht rosig waren, ist wenig bekannt. „Das waren ziemlich triste Jahre“ erläuterten ältere Stadtbewohner, doch verbürgt ist, dass es in ab den 1950er-Jahren mit dem „Greif“ wieder aufwärtsging. Das dort verkehrende einheimische Publikum trug nun aber kaum noch Uniform, sondern Zivilkleidung. Für die Herren waren Anzug und Krawatte obligatorisch, für die Damen elegante Kleider oder Kostüme und die Kellner bedienten im Smoking.

Das „Greif“ zu Beginn der 1950er-Jahre. – Foto: Stadtarchiv

Das alles konnte ich als Kind noch selbst sehen, wenn ich dort an den großen Glasfenstern des Cafés vorbeischlenderte. Denn trotz der Stores, mit denen sie verhangen waren, konnte ich noch immer genug erkennen, was dahinter vor sich ging. Der Blickfang des Lokals, das mit modernen Sitzgarnituren im 1950er-Jahre-Stil eingerichtet war, war die freischwingende Treppe, die in die obere Kaffeehausebene führte und die mich mächtig beeindruckte.

In den Nebenzimmern des „Greif“, den Chambres séparées – so werden abgeteilte und sichtgeschützte Räume bezeichnet – gaben sich die diversen Herrenzirkel ein Stelldichein, in denen Freiberufler wie Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater, Versicherungsvertreter, Fabrikanten, aber auch höhere Beamte versammelt waren. Sie saßen dort gern plaudernd und fröhlich scherzend bei Bier, Wein, Kaffee oder auch härteren Getränken zusammensaßen. Einige von ihnen gehörten auch den täglichen Karten- oder Schachrunden im Lokal an.

Bei diesen Jour fixes der so genannten oberen Zehntausend von Wels im Greif“ wurde viel getratscht und noch mehr getrunken und gelegentlich auch Geschäfte gemacht. Man kannte sich untereinander, schätzte sich aber nicht immer, was jedoch kaum zu offenen Feindschaften führte. So mancher trieb es auch mit der Frau des anderen und jeder Seitensprung wurde gern in Abwesenheit der Betroffenen erörtert und diskutiert. Abgesehen davon redete man über alles, was Neuigkeitswert besaß.

Das „Greif“ hatte immer von seiner günstigen Zentrumslage auf dem Kaiser-Josef-Platz (Ka-Je) profitiert, weil einst der gesamte Autoverkehr von Wien nach Salzburg über diesen rollte. Erst nach Fertigstellung der Westautobahn ab dem Jahr 1967 wird er sich auf die neue Magistrale verlagern. Damit wird dann auch das „Greif“ immer mehr an Bedeutung verlieren.

So sah der „Greif“-Komplex (links im Bild) in den 1960er-Jahren aus. – Foto: Stadtarchiv

Davor jedoch war es für Durchreisende wie auch für die Welser noch ein „Place to be“ und das „Greif-Büffet“, das man auch „Greif Espresso“ nannte, war in den 1960er-Jahren nicht nur das Lieblingslokal des bekannten Welser Musikers Egon Honetschläger, der bei den „Heinzelmännchen“ spielte und in der Stadt sehr bekannt war.

Egon Honetschläger (2. V.r.) mit seinen Musikerkollegen von der bekannten Welser Band „Die Heinzelmännchen“. – Foto. Privat

Auch während seiner Präsenzdienstzeit beim Bundesheer in Salzburg freute sich Egon, wenn er am Wochenende wieder nach Hause fahren konnte, um dann sofort nach seiner Ankunft das „Greif-Buffet“ aufzusuchen, wo seine Freunde ihn meist schon erwarteten, wie er erzählt.

Das schmale Lokal, das für seine Fans ebenfalls eine Art Chambres séparée war, war immer gut frequentiert. Der nicht weniger stadtbekannte Taxi-Fahrer Franz Baumgartner – ein Freund des späteren Polizeichefs Werner Hasawendt – war im „Greif-Buffet“ fast schon zu Hause. Bei einer Schale Kaffee und unzähligen Zigaretten wartete er dort geduldig und gern auf Fahrgäste. Seinen Wagen, der schräg gegenüber am Taxistandplatz vorm Salburgischen Palais – besser bekannte als Doppler-Haus – abgestellt war, hatte er dabei gut im Blick und er sah auch sofort, wenn sich potentielle Kunden seinem Fahrzeug näherten.

An einer Ecke dieses schönen und historisch bedeutenden Palais war damals in einem Kastl das Telefon für den Taxi-Standplatz angebracht, dessen schrilles Klingeln man über den ganzen Ka-Je hörte bis hinauf zur Fitz-Kreuzung und folglich erst recht auch im „Greif-Espresso.“ Ich habe dieses Klingelgeräusch noch heute wie eine Art Tinnitus gut im Ohr. Das Telefonkastl gibt es noch, doch das Gerät selbst hat ausgedient.

Der „Warteraum“ Baumgartners war nüchtern und funktionell eingerichtet. Von daher wirkte im „Greif-Buffet“ alles stets ein wenig kühl. Doch durch die freundliche Art von Vilma Eckel, die an der Bar hinter der großen italienischen Espressomaschine stand und die Leute bediente, wurde das Lokal menschlich schnell erwärmt.

Gegenüber der Bar – getrennt durch einen schmalen Gang, durch den man einerseits auf den Ka-Je hinausgelangen konnte, andererseits aber auch nach hinten zu den Toiletten und zum Kino – befanden sich die Sitzplätze für die Gäste. Diese hockten dort auf Sesseln mit silberfarbenem Gestänge, die an Tischen mit braungefleckten Marmorplatten standen. Die dem Bartresen gegenüberliegende Seitenwand war komplett verspiegelt, was das kleine Schlauchlokal geräumiger erscheinen ließ.

Da die jeweiligen Tischgarnituren im „Greif-Espresso“ auf einem leicht ansteigenden Boden montiert waren, saßen die Gäste dort nicht ebenerdig auf Ka-Je-Gehsteig-Niveau, sondern leicht erhöht. Von dieser Warte aus hatten sie einen guten Blick durch die gläserne Eingangstür über den Platz und in die von ihm abgehende Bäckergasse hinein, wo in jenen Jahren ein gewaltiger Umtrieb war.

Deshalb war das Greif-Büffet auch ein idealer Ausguck für die überwiegend männlichen Besucher, denen vom Geschehen draußen und damit auch vom weiblichem Umlauf nichts entging. Meist kannten die im Lokal sitzenden Stenze die vorüberlaufenden Frauen, wenn auch oft nur flüchtig, weil Wels in jenen Jahren noch überschaubar war und jeder fast jeden noch kannte.

Als Teenager fing ich Mitte der 1960er-Jahre erst an, sporadisch im „Greif-Espresso“ zu verkehren, was meistens der Fall war, wenn ich mich mit meinem Freund Gustl traf, um mit ihm dort das damals angesagte Modegetränk, einen giftgrünen Pfefferminz-Drink, zu konsumieren und dabei den schon älteren Burschen beim Schwadronieren zuzuhören. Dabei erlebten wir hautnah mit, was im „Greif-Buffet“ offenbar gelebter Alltag war.

Im Sommer 1965 saß ich also mit Gustl inmitten einiger älterer Stammgäste im Lokal, als einer aus der Runde – es war der in Wels ebenfalls sehr bekannte Helmut Schrögendorfer – plötzlich wie von der Tarantel gestochen aufsprang und nach draußen eilte. Eben noch hatte der großgewachsene Mann, der sieben, acht Jahre älter gewesen sein dürfte als wir, noch ausgelassen in der Runde gescherzt, doch nun war er plötzlich auf und davon.

Was ist passiert? fragten wir uns. Wir sollten es bald erfahren. Helmut war einer Frau hinterhergelaufen, die er beim Vorübergehen vorm „Greif-Buffet“ gerade noch aus den Augenwinkeln heraus erspäht hatte. Vor der Boutique Weissengruber, die im Erdgeschoss des „Hotel Parzer“ angesiedelt war, hatte er die junge Dame dann eingeholt. Manchmal, wenn die ihm in den Blick geratenen Schönheiten schnelleren Schrittes unterwegs waren, musste er oft sogar bis zum Gasthof Lechfellner laufen (heute befindet sich dort der Billa Einkaufsmarkt).

Der Welser „Monaco Franze“ Helmut Schrögendorfer in seiner Paraderolle als Stadt-Casanova. – Foto: Prischl

In den meisten Fällen kehrte Schrögendorfer aber mit seiner „schönen Beute“ schnell ins „Greif-Espresso“ zurück, wo er die bewundernden Blicke seines Freundeskreises erntete. Dieser durfte dann dabei zuschauen, wie ihr vielbewunderter „Frauenheld“ seiner Begleiterin einen Kaffee spendierte und dabei einen angeregten Flirt mit ihr begann. In den Augen vieler Welser könnte der „Schrögi“, wie ihn seine Freunde nennen, das „Role-Model“ für den späteren TV-Star „Monaco Franze“ (dargestellt vom Schauspieler und Vornamens-Kollegen Helmut Fischer) gewesen sein.

Und wenn der „Schrögi“ dann später – in anderen Lokalrunden – über seine Eroberungen und amourösen Abenteuer berichtete, tat er dies stets im besten Zwirn. Denn gekleidet war er immer nach der neuesten Mode, was nicht nur ich bewundernd registrierte. Mit seiner attraktiven Verpackung und einigen kecken Sprüchen, gelang es Helmut immer sehr schnell, die Frauen „einzuwickeln“ und im Laufe der Jahre auch eine Vielzahl davon zu verführen, wie man sich heute noch an den neuen Hotspots des Welser Gesellschaftslebens (Urbann, Mica und Café Hoffmann) gern erzählt.

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