Bundesheer könnte wieder zur Dauerbaustelle werden
Sollte sich die so genannte Zuckerl-Koalition zu einer neuen Regierung formieren, bedeutet dies vermutlich das Ende für die weitere Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit unseres Bundesheeres, das dann wieder als Dauerbaustelle sein Dasein fristen dürfte.
Die wechselnden Lageeinschätzungen österreichischer Wehrpolitiker, was das Bundesheer auf Grund der jeweils aktuellen geopolitischen Lage zu leisten hätte und wie es eingesetzt werden sollte, hat a la longue dazu geführt, dass selbst der Generalstab vor einigen Jahren die Handlungsfähigkeit unserer österreichischen Armee ernsthaft gefährdet sah.
Seit Bestehen des Bundesheeres war dieses einem ewigen auf und ab ausgesetzt, das oft auch durch vorschnelle und manchmal sogar falsche Entscheidungen der politischen Akteure verursacht wurde, aber auch durch die Tatsache, dass man nur wenig oder gar kein Geld für den Schutz unseres Landes aus dem Staatshaushalt aufwenden wollte. Diese Hü-und-hott-Politik nannte man bisweilen auch gern Reformen, welche oft und auch letztlich zu massiven Einschnitten in der Infrastruktur, in den Waffenbeständen und in der Kaderstruktur führte.
Diese Entwicklung bestätigt auch der ehemalige Einsatzchef des Bundesheeres, Generalleutnant i. R. Christan Segur-Cabanc. Mitte der 2010er-Jahre war die Armee nur noch bedingt abwehrbereit und die militärische Landesverteidigung offenbar nicht mehr so wichtig und Schnee von gestern.
Ich persönlich kannte noch Zeiten, in denen das Bundesheer – zumindest von einem Großteil der Bevölkerung – sehr geschätzt wurde. Als ich 1968 zur Ableistung meines Präsenzdienstes zum Gardebataillon einrückte, gab es noch eine allgemeine, neunmonatige Wehrpflicht und das Bundesheer genoss im ganzen Land großes Ansehen, zumindest bei den älteren Menschen. Die jungen Leute huldigten ab Mitte der 1960er-Jahre zum Teil dem neuen Hippie-Leben und der damals damit um die Welt gehenden Devis „Make Love Not War“.
In der Ära des in Ostasien gerade tobenden Vietnam-Krieges ging in Österreich die Angst vor einem Krieg vor der Haustür um. Denn im Falle eines Ablebens von Marschall Tito, der in Jugoslawien regierte, könnten die Warschauer Paktstaaten dort einmarschieren, und dabei gleich durch das östliche Österreich marschieren. Das war die damals in unserem Land vorherrschende Furcht, doch in Wirklichkeit entzündete sich zunächst einmal ein Konflikt in der Tschechoslowakei, in der etwa zehn Jahre nach dem Ungarn-Aufstand russische Panzer einrollten, um den „Prager Frühling“ gewaltsam zu beenden.
Der damals im Garde-Hof der Maria-Theresien-Kaserne stationierte Jägerverband wurde 1968 an die tschechoslowakische Grenze verlegt, um dort etwaige Grenzverletzungen zu verhindern, was bei den seinerzeitigen Bundesheer-Befehlshabern jedoch Bauchweh verursacht haben dürfte. Denn eine österreichische Jägerbrigade, die direkt an der Grenze verteidigt, sei nicht in der Lage, einen mechanisierten Angreifer abzuwehren oder seinen Einmarsch zu verzögern, erklärt Christian Segur-Cabanac, Generalleutnant im Ruhestand, in einem Militärmagazin. Als ehemaliger Einsatzchef weiß er, wovon er spricht.
Die sogenannte Tschechen-Krise war dann auch die Geburtsstunde der österreichischen Raumverteidigung, die als Spannocchi-Doktrin bekannt wurde. Dabei handelte es sich um ein Verteidigungskonzept, das auf Abschreckung beruhte. Die Überlegung, die dahintersteckte, fußte auf der Strategie, einen Angreifer in so genannten Schlüsselzonen abzuriegeln und ihm damit einen schnellen Durchmarsch durch Österreich zu erschweren, damit er es sich schon von vornherein überlegt, ob es für ihn nicht eine andere Möglichkeit gäbe.
Unser Land – so die damals vorherrschende Überzeugung – würde nämlich nie ein primärstrategisches Angriffsziel sein, sondern auf Grund seiner Lage immer nur Durchmarschgebiet betrachtet werden, welches es folglich zu schützen galt.
In den Zeiten der beginnenden Spannocchi-Doktrin gehörte ich dem Jagdkommando an, welches damals ebenfalls in dieses Verteidigungskonzept eingebunden war. Denn im Fall einer feindlichen Invasion, so sagte man uns, sollten uns wir Jagdkommandosoldaten in die heimischen Wälder und Berge verziehen, um von dort aus den Feind in der Ebene durch überfallsartige Aktionen bekämpfen und zermürben, und ihm sein Dasein in unseren Breiten so schwer wie möglich zu machen. Wir würden dabei ganz auf uns allein gestellt sein und sollten und bei unseren Einsätzen auch selbst versorgen.
Dies war eine Strategie, die mir und meinen Kameraden gut gefiel, ebenso wie die ab 1975 von Verteidigungsminister Karl Lütgendorf vehement vorangetriebene Raumverteidigung, die auch in der Bevölkerung Anklang fand. Nach allen Seiten des Landes hin wurden feste, getarnte Anlagen mit stationären Panzertürmen in der heimischen Landschaft errichtet. Diese Art der Feindbekämpfung, in Verbindung mit echt gelebter Neutralität, halten auch heute noch viele Leute für ein tragfähiges Verteidigungskonzept, dem die Militärs von heute aber widersprechen.
Denn das Bundesheer verfügte in den 1980er-Jahren noch über seine stärkste Mobilmachungskapazität, heißt es: Rund 242.000 Mann standen damals im Ernstfall Gewehr bei Fuß und etwa 150.000 davon waren Milizsoldaten. Zurzeit könnten maximal 50.000 Soldaten aufgestellt werden.
Als der Warschauer Pakt 1991 implodierte, kam dem Heer dann das Feindbild abhanden, obwohl die seinerzeitige Raumverteidigung auch nach Westen hin und gegen eine eventuelle Bedrohung durch die Nato ausgerichtet war. Doch auch von dort schien keine Gefahr mehr zu drohen, denn es kam der Begriff „Friedensdividende“ in Mode und die Politik nahm diesen auch an, konstatiert Generalleutnant Segur-Cabanac. Ab der Jahrtausendwende fing die Politik dann an, das Bundesheer abzurüsten und der Auslöser dafür war die „Bundesheer-Reformkommission“ unter der Führung von Helmut Zilk. Der Ausverkauf des Heeres begann.
„Die Struktur, die Munitionsbevorratung, die Waffen, die Geräte, viele Kasernen, die Panzer – das alles wurde plötzlich nicht mehr benötigt, erinnert Segur-Cabanac und mit ihm klagen auch andere Offiziere im Ruhestand gegenüber dem Einsatz-Magazin: „Von der Gulaschkanone bis zum Benzinkanister wurde alles verkauft, die einstmals festen Raumverteidigungsanlagen abgebaut.“ Auch Milizionäre brauchte man keine mehr und eine Berufsarmee wurde überlegt.
Von da an verrichtete das Bundesheer nur noch Auslandseinsätze und als potentieller Feind galt nun der internationale Terrorismus. Mit anderen Bedrohungen rechnete man in Österreich nicht mehr, was sich als politische Fahrlässigkeit im höchsten Maß erweisen sollte.
Die Stunde der Wahrheit schlug, als russische Streitkräfte in die Ukraine einmarschierte und man mit Schrecken erkannte, dass der Krieg vor die Haustür zurückgekehrt war. Aber womit sollte man sich im Fall einer eigenen Bedrohung nun wehren? Das Armeesilber war verscherbelt und auch die einstigen Grundfertigkeiten waren kaum noch vorhanden.
Also begann man hektisch aufzurüsten und wie in einem Rausch wurden auf Teufel komm raus wieder Waffen, Fahrzeuge, Hubschrauber und Flugzeuge eingekauft, bis die Kreditkarten glühten. Auch mit der Auf- oder Nachrüstung der noch vorhandenen Panzer wurde flugs begonnen und dies ist ein Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist, wie im Übrigen auch der Ankauf neuer Waffensysteme.
Dabei fehlt es im Heer an allen Ecken und Enden an Personal, die die ganzen neuen Geräte auch bedienen können. Bis der Stand wieder auf die erforderliche Zahl angehoben ist, dürfte die bereits gelieferten Waffen für eine moderne Kriegsführung und Landesverteidigung vermutlich schon wieder veraltet sein, glauben Experten.
Große Gefahr droht der Verbesserung der Abwehrfähigkeit unseres Bundesheeres auch durch die neue „Zuckerl-Regierung“, so sie denn überhaupt kommen sollte. Denn auf Grund der maroden Staatsfinanzen, die wir der Regentschaft der türkis-grünen Regierung verdanken, wird auch den neuen Machthabern, die zum Teil die alten sind, nichts anderes übrig bleiben, als die im Landesverteidigungsfinanzierungsgesetz bereits zugesagten Mittel zu kürzen. Damit wird das Heer – wie schon gewohnt – erneut zu einer Dauerbaustelle werden.